[Morton Feldman Page] [Feldman: Homages]

Michael Denhoff: Hauptweg und Nebenwege (1998)
aufzeichnungen op. 83
für streichquartett und klavier


Meine 1998 entstandenen „Aufzeichnungen” HAUPTWEG UND NEBENWEGE (der Titel verweist ganz bewußt auf das berühmte Bild von Paul Klee) waren der Versuch, durchgehend ein ganzes Jahr lang die täglichen musikalischen Gedanken festzuhalten und ihnen Gestalt und Form zu geben: eine Art klingendes Tagebuch, begonnen am 1. Januar und beendet am 31. Dezember.

Vor Beginn der eigentlichen kompositorischen Arbeit entwarf ich zunächst einen groben formalen Plan. So entschloss ich mich, das Stück so anzulegen, daß es den Monaten folgend in zwölf Teile gegliedert wird, die jeweils auch seperat aufgeführt werden könnten; zudem sollte jeder dieser zwölf Teile seine eigene Temperatur bekommen, indem jeweils ein Ton dort die imaginäre Klang- und Bezugsachse wird. Am deutlichsten wird dies wohl im 8. Teil, wo mit Ausnahme einer Klavierkadenz gegen Ende durchgehend im Klavierbaß das tiefe CIS mit einem Filzschlägel angeschlagen wird.

Die zwölf „Monats-Töne” erscheinen gleich zu Beginn als Tonfolge im ersten Eintrag von HAUPTWEG UND NEBENWEGE; und im ersten Klangfeld jedes weiteren Teils erscheint ebenfalls zunächst einmal diese Tonfolge, jeweils mit dem neuen Zentralton beginnend.

Ich behielt mir zudem vor, gelegentlich - dort, wo ich es für notwendig erachtete - den reinen Klavierquintettklang um einige Schlagzeugfarben zu erweitern. Dies geschieht zunächst nur ganz dezent durch Hinzunahme von drei Klangschalen (Tempelgongs), die vom Pianisten im 5. Teil mitgespielt werden, und kulminiert schließlich im 10. Teil, wo alle fünf Musiker zusätzliche Schlaginstrumente mitbedienen. Im 12. (und letzten) Teil nehmen sich die Farbanreicherungen wieder in ferne und leise Becken- und Tamtamschläge zurück.

Trotz der grundsätzlichen Vorüberlegungen wollte ich mich bei der Arbeit aber treiben und überraschen lassen von dem, was sich - jeweils anknüpfend - an Klängen einstellt, was die Töne an Eigendynamik entfalten. So ergab sich beispielsweise gegen Ende der „Aufzeichnungen” die Notwendigkeit, den musikalischen Raum dahingehend zu erweitern, daß die Musiker nicht mehr zusammen auf der Bühne sitzen, sondern in den Saal gehen und somit das Auditorium klingend umschließen.

Der Klangweg entstand beim Gehen, von Tagesschritt zu Tagesschritt, und der Weg selbst war - wie das alte chinesische Sprichwort sagt - das Ziel.

Während die Musik mit dem zeitlichen Blick nach vorn gerichtet immer weiter wuchs (...und wucherte), wurde diese kompositorische Arbeit gleichzeitig immer mehr auch eine rückwärts gerichtete Erinnerungsarbeit: zahllose Verweise und Anspielungen an die (auch meine) musikalische Vergangenheit, sehr persönliches Gedenken an eigene Wegbegleiter in Form von Widmungen und ein dichtes Netz literarischer Zitate, die - nur für die ausführenden Musiker zu lesen - zwischen die Noten geschrieben sind, auf die sie einwirkten, lassen die Musik zu einem labyrinthisch verschlüsselten Klangraum werden, der sich trotz seiner scheinbar enigmatischen Gestalt dennoch dem Zuhörer öffnet, denn wie auch die Bildfläche bei Klee nur das Fenster ist, durch das der Betrachter sein Sehen nach hinten weitet, so ist auch die Klangfläche der Musik nur das offene Tor, durch das der Hörer in sich selbst hineinzuhorchen beginnt.

Für mich selbst ist HAUPTWEG UND NEBENWEGE eine Art Resümee mit bekenntnishaftem Charakter geworden.

Uraufführung: 7. Oktober 2000, Bonn, Arithmeum, im Rahmen des Internationalen Beethovenfestes Bonn, Auryn-Quartett & Birgitta Wollenweber, Klavier, Konzertmitschnitt des WDR Köln

In Vorbereitung: CD-Produktion für das Label „col-legno“ mit dem Vogler-Quartett & Birgitta Wollenweber (erscheint voraussichtlich 2002)

Notenbeispiel
letzte Partitutseite aus „Hauptweg und Nebenwege“:

Score excerpt

WENN AUS DER FERNE... (1998/99)
Nebenweg I op. 83 (a) für Streichquartett

CUEILLAISON D’UN RÊVE (1998/99)
Nebenweg II op. 83 (b) für Klaviertrio

AUTOMNE ÉTERNELLE (1998/99)
Nebenweg III op. 83 (c) für Violine und Klavier

TO AND FRO IN SHADOW (1998/99)
Nebenweg IV op. 83 (d) für Viola und Klavier

UNRECEDING ON (1998/99)
Nebenweg V op. 83 (e) für Violoncello und Klavier

L’OMBRE SURVIVANTE (1998/99) Nebenweg VI op 83 (f) für Klavier

Diese sechs “Nebenwege”, eigenständige Stücke unterschiedlicher Besetzung, sind aus meinen “Aufzeichnungen” für Streichquartett und Klavier HAUPTWEG UND NEBENWEGE herausgeschnitten worden.

Die 1998 entstandenen “Aufzeichnungen” (der Titel HAUPTWEG UND NEBENWEGE verweist ganz bewußt auf das berühmte Bild von Paul Klee) waren der Versuch, durchgehend ein ganzes Jahr lang die täglichen musikalischen Gedanken festzuhalten und ihnen Gestalt und Form zu geben: eine Art klingendes Tagebuch, begonnen am 1. Januar und beendet am 31. Dezember.

Der Klangweg entstand beim Gehen, von Tagesschritt zu Tagesschritt, und der Weg selbst war - wie das alte chinesische Sprichwort sagt - das Ziel.

Während die Musik mit dem zeitlichen Blick nach vorn gerichtet immer weiter wuchs (...und wucherte), wurde diese kompositorische Arbeit gleichzeitig immer mehr auch eine rückwärts gerichtete Erinnerungsarbeit: zahllose Verweise und Anspielungen an die (auch meine) musikalische Vergangenheit, sehr persönliches Gedenken an eigene Wegbegleiter in Form von Widmungen und ein dichtes Netz literarischer Zitate, die - nur für die ausführenden Musiker zu lesen - zwischen die Noten geschrieben sind, auf die sie einwirkten, lassen die Musik zu einem labyrinthisch verschlüsselten Klangraum werden, der sich trotz seiner scheinbar enigmatischen Gestalt dennoch dem Zuhörer öffnet, denn wie auch die Bildfläche bei Klee nur das Fenster ist, durch das der Betrachter sein Sehen nach hinten weitet, so ist auch die Klangfläche der Musik nur das offene Tor, durch das der Hörer in sich selbst hineinzuhorchen beginnt.

Im Jahr 1999 habe ich nun aus diesen “Aufzeichnungen”, deren Gesamtaufführung etwa drei Stunden dauert, seperate “Nebenwege” herausgeschnitten. Dabei wurden aus dem Gesamtwerk einzelne Abschnitte, bei denen nicht die komplette Klavierquintettbestzung genutzt wird, sondern nur das Streichquartett, die Klaviertrio-Formation, die diversen Duo-Kombinationen mit Klavier oder das Klavier allein, neu zusammengestellt und verknüpft, dabei teilweise umformuliert, so daß sich ein ganz eigenständiger neuer musikalischer Bogen ergibt. Die Chronologie der Entstehung ist also aufgegeben. Dennoch bleibt trotz der Unterschiedlichkeit aller sechs “Nebenwege” die grundsätzliche emotionale Temperatur dem Hauptwerk verwandt: es ist für mich eine Musik mit bekenntnishaftem Charakter, ein sehr persönliches Resümee.

Uraufführungen:

15. August 2000, Cueillaison d’un Rêve (ca. 13’), Nebenweg II op. 83 (b) für Klaviertrio, Trio Jean Paul, Freden (a.d.Leine), Musikfest, Mitschnitt des NDR Hannover

26. Oktober 2000, Automne éternelle (ca. 9’), Nebenweg III op. 83 (c) für Violine und Klavier, Pi-Chao Chien, Violine & Deborah Richards, Klavier, Köln, Alte Feuerwache

5. Juni 1999, Unreceding on (ca.14’), Nebenweg V op. 83 (e) für Violoncello und Klavier, Michael Denhoff, Violoncello & Susanne Kessel, Klavier, Bonn, Kult 41

3. September 1999, L’ombre survivante (ca. 15’), Nebenweg VI op. 83 (f) für Klavier, Susanne Kessel, Klavier, Königswinter, Petersberg

Michael Denhoff
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